FFP-Pressemitteilung 2 / 2022
Ampelbündnis = Aufbruch?
Eine Einschätzung
Familienpolitische Ampel auf Grün? Welche Vorhaben von Familienministerin Spiegel sind vielversprechend, welche sehr ambitioniert, wo könnte es haken? Professorin Irene Gerlach zur Modernisierung des Bildungs- und Betreuungssystems, zu neuen Familienleistungen, zur Erweiterung des Sorgerechts und zur Kindergrundsicherung.
Betreuungs- und Bildungssystem
Besonders interessant klingt im neuen Koalitionsvertrag das Ziel, eine engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation aller Ebenen bei der Modernisierung des Betreuungs- und Bildungssystems anzustreben, aufgeführt im Koalitionsvertrag als "Kooperationsgebot". Die örtliche Umsetzungskraft der Schulträger, die Kultushoheit der Länder und das unterstützende Potenzial des Bundes soll „zu neuer Stärke vereint“ werden und es soll „eine neue Kultur in der Bildungszusammenarbeit“ begründet werden. Dies ist angesichts der Beharrungskräfte im Föderalismus ambitioniert, aber mit Rückblick auf Reibungs- und Ressourcenverluste beim Einsatz von Bundesmitteln, zum Beispiel beim Ausbau des Betreuungsangebotes oder der Ganztagsschule, unverzichtbar.
Eine grundlegende Reform des BAföG soll zu einer elternunabhängigen Förderung führen, auch dies ist zu begrüßen.
Haushaltsnahe Dienstleistungen
Auch die Ankündigung der Bezuschussung Haushaltsnaher Dienstleistungen für Familien und Pflegende ist ausdrücklich zu begrüßen. Ihr ist ein über 30-jähriges Hin und Her inklusive ideologischer „Verblendungen“ vorausgegangen – wie die Etikettierung als „Dienstmädchenparagraph“ – obwohl doch für die Familienpolitik hätte offensichtlich sein müssen, dass neben dem Ausbau des Kinderbetreuungsangebotes die Unterstützung bei der Hausarbeit ein funktionierendes weiteres Instrument bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hätte sein können.
Sorgerecht
Die Ausweitung des „kleinen Sorgerechts“ für soziale Eltern, das auf bis zu zwei weitere Erwachsene zu übertragen wäre, entspricht einer Anpassung des Familienrechts an die soziale Realität, bringt aber für die Regelung im Konfliktfall große Herausforderungen mit sich. Ähnliches gilt für die Einführung von Verantwortungsgemeinschaften, die jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen soll, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen.
Die Berücksichtigung der umgangs- und betreuungsbedingten Mehrbelastungen bei gemeinsamer Erziehung nach Trennung der Eltern im Sozial- und Steuerrecht ist zu begrüßen. Sie wurde im Übrigen unter anderem auch in der Empfehlung „Gemeinsam getrennt erziehen“ vom Wissenschaftlichen Bereit für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend so gefordert.
Kindergrundsicherung
Das zentrale familienpolitische Projekt wird sicher die Einführung einer Kindergrundsicherung als Mittel zur Beseitigung von Kinderarmut sein. Daneben ist mit der Kindergrundsicherung auch die Vereinfachung des Antragsprozesses beabsichtigt. Kindergeld, Leistungen der Sozialhilfe oder Grundsicherung, aus SGB II/XII, für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets sowie Kinderzuschlag sollen zusammengefasst werden und einkommensunabhängig nur als Garantiebetrag oder nach dem Elterneinkommen gestaffelt erhöht gezahlt werden.
Der bisherige Kinderfreibetrag ist im Koalitionsvertrag nicht erwähnt, da aber der Garantiebetrag den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach Freistellung des kindlichen Existenzminimums bei der Besteuerung des Elterneinkommens entsprechen soll, ist davon auszugehen, dass er abgeschafft werden soll.
Wenngleich die Vermeidung von Kinderarmut ein zentrales familienpolitisches Ziel ist und sein sollte, wirft die Einführung einer Kindergrundsicherung eine Reihe von Fragen auf: Wo bleiben die bisher beim Kinderzuschlag vorhandenen Anreize für die Eltern selbst Geld zu erwirtschaften – die sogenannte „Voraussetzung eines Mindesteinkommensbetrags“? Kann verhindert werden, dass das Arbeitsangebot von Eltern, die den vollen Betrag erhalten, sinkt (oder angesichts der volkswirtschaftlichen Herausforderung der nächsten Jahre zumindest nicht steigt)? Ist es gerecht, dass Eltern, die gegebenenfalls unter größten Anstrengungen Familie und Erwerbsarbeit miteinander verbinden und den Unterhalt ihrer Familie selbst erwirtschaften, nur mit dem Äquivalent der steuerlichen Freistellung des kindlichen Existenzminimums abgefunden werden? Und schließlich: Kann eine erhöhte monetäre Leistung Kinder- und Familienarmut nachhaltig verhindern oder bedarf es dafür nicht einer systematischen Verknüpfung von Familien- und Arbeitsmarktpolitik?
Die empirische Evidenz aller Armutsuntersuchungen weist jedenfalls darauf hin, dass Ursache von Familienarmut in der Regel eine nicht vorhandene oder zu geringe Erwerbsarbeit der Eltern ist.